Weinbau

Unzählige kleine Weingärten, von Steinmäuerchen eingefasst, erstrecken sich an der Westküste von Pico. Generationen von Menschen haben dazu gebraucht, das steinig-felsige Land in diese einzigartige Kulturlandschaft zu verwandeln. Geschützt vom Wind und von der Sonne verwöhnt reifen die Weinreben in dem trocken-warmen Mikroklima besonders gut heran. Der Weinbau wurde bereits im 16. Jh. von Franziskanern und Karmelitern auf Pico eingeführt; in der Mitte des 17. Jhs. kamen auch die Jesuiten auf die Insel. Die Orden residierten in Horta auf Faial, von wo aus die Weingüter auf Pico bewirtschaftet wurden.

Die Weingärten (currais, Einzahl curral) mussten mühsam angelegt werden. Die verstreut auf dem Boden liegenden Lavabrocken wurden aufgelesen und zu Trockenmauern aufgeschichtet. Auf den ersten Blick erscheint das Mauergewirr geradezu labyrinthisch, doch es hat System: zunächst wurde eine große Fläche mit mächtigen, übermannshohen Mauern eingefriedet. Diese Außenmauern wurden ursprünglich verputzt, um Kaninchen am Durchschlupf zu hindern. Die eingefriedete Fläche wurde dann in viele jeirões (Morgen Land) aufgeteilt, die mit etwas niedrigeren Mauern umgeben wurden. Regelmäßige Wege (canadas) verliefen von der Küste landeinwärts. Jede canada war von zwei parallel verlaufenden, 2-3 m langen Mäuerchen gesäumt. Durch Quermauern mit schmalen Breschen, die travesses (oder travessos), entstanden kleine Gevierte oder Einfriedungen (currais), in denen drei bis vier Weinstöcke kultiviert werden. Die Steine speichern die Wärme des Tages und geben sie nachts ab; die Mäuerchen schützen vor Wind und Gischt.

Wichtigste Rebsorte war der aus dem Mittelmeerraum stammende weiße Verdelho, der mit anderen Trauben (Malvasia, Boal, Alicante, Sercial und Bastardo) zu einem hochwertigen Weißwein verschnitten wurde. Nach der vorherrschenden Rebsorte bezeichnete man auch den Verschnitt als Verdelho. Zwei Sorten gelangten in den Handel: der trockenere, schwerere vinho comun und der süßere, aus vollreifen Trauben gekelterte vinho passado. Bereits Anfang des 17. Jhs. hatten die Weingüter Picos Handelsniederlassungen in Brasilien und Nordeuropa; Pico-Wein wurde sogar am russischen Zarenhof kredenzt. Dort trank man ihn als Aperitif wie einen Madeira- oder Portwein. Tolstoi erwähnt Pico-Wein sogar in seinem Werk „Krieg und Frieden“. Besonders verdient gemacht um den Handel mit Pico-Weinen hat sich die deutsche Kaufmannsfamilie Wants Walter.

Fast alle Weinstöcke des verdelho antigo fielen 1852 dem Mehltau zum Opfer. 20 Jahre danach wurden die überlebenden Weinstöcke von der Reblaus befallen, einem Parasit, der die meisten europäischen Reben zugrunde gehen ließ. Europäische Edelreiser müssen seither auf reblausresistenten amerikanischen Unterlagen gepropft werden. Auf Pico machte man sich lange Zeit nicht die Arbeit der Pfropfung, sondern pflanzte direkt die robuste amerikanische Isabela-Rebe. Der aromatische, aber etwas strenge und herbe Geschmack hat dem daraus gekelterten Wein seinen Namen verliehen – Vinho de Cheiro („Duftwein“). Dieser Rotwein wird bis heute in einigen privaten adegas als Hauswein gekeltert, aber aufgrund von EU-Bestimmungen zur Verbesserung des europäischen Weinbaus darf dieser Wein nur eingeschränkt verkauft werden.

Inzwischen wurden robuste europäische Rebsorten eingeführt, darunter Arinto, Terrantez und Verdelho, die auf alten, genetisch verbesserten Sorten basieren und zu Tafelweinen ausgebaut werden. Der größte Teil des Weins wird genossenschaftlich von der Cooperativa Vitivinicola da Ilha do Pico erzeugt. Terras de Lava ist ein 1995 eingeführter Weißwein aus den Rebsorten Seara Nova und Rio Grande, Basalto ein roter Tafelwein aus den Trauben Periquita und Agronómica. Lajido gilt als Nachfolger des alten Verdelho, dem der Pico-Wein seinen einstigen Ruhm verdankt. Dieser VLQPRD-Wein (VLQPRD = vinho licoroso de qualidade produzido em região determinada, d.h. likörähnlicher Qualitätswein mit kontrollierter Herkunft) hat einen Alkoholgehalt von 16% und wird bei 8-10 Grad als Aperitif oder Dessertwein getrunken.

Ein Besuch der Insel Pico ist nicht vollständig, ohne einen Schoppen des leicht kratzigen vinho de cheiro probiert zu haben. Man braucht nur in einer Bar oder in einem Restaurant nach offenem Rotwein zu fragen; unter dem Namen „Cavaco“ ist auch auf Flaschen gezogener vinho de cheiro im Handel.