Flora

Unter allen kanarischen Inseln weist Teneriffa die größte Pflanzenvielfalt auf. Von den rund 1300 verschiedenen Pflanzenarten, die auf der Insel anzutreffen sind, gelten 135 Arten als endemisch, das heißt nur hier verbreitet. Weitere 260 Arten sind auch auf dem übrigen Archipel oder Madeira und den Azoren anzutreffen. Die restlichen Arten gehören entweder der südeuropäisch-nordafrikanischen Flora an oder wurden aus anderen Teilen der Welt eingeführt. Dank der ausgeglichenen Temperaturen gedeihen fast alle Exoten aus den tropischen bis gemäßigten Breiten. Besonders auf der feuchten Nordseite präsentiert sich Teneriffa als wahres Dorado für Pflanzenliebhaber.

Ähnlich wie auf Neuseeland konnte die Tertiärflora auch auf den subtropischen Inseln des Nordatlantiks das Eiszeitalter weitgehend überleben. Nicht wenige Pflanzenarten, die im Quartär auf dem Festland ausgestorben sind, haben sich hier als wertvolle Reliktpflanzen oder “lebende Fossilien” erhalten. Hierzu gehören unter anderem der berühmte Drachenbaum und der Lorbeerbaum, die auf dem europäischen Kontinent als tertiäre Fossilien gefunden wurden.

Aufgrund der klimatischen Höhendifferenzierung gibt es auf Teneriffa acht verschiedene Pflanzengesellschaften, die von beinahe tropisch (an der Küste) bis subalpin (Pico del Teide) reichen. Zusätzlich wird dieses Bild noch durch den Gegensatz des feuchten Nordens und des trockenen Südens differenziert.

Auf der untersten Höhenstufe, die im Norden bis etwa 600 m Meereshöhe, im Süden bis 1000 m reicht, herrscht ein gleichförmig trockenwarmes Klima. Hier ist die Sukkulenten-Formation anzutreffen, für die Pflanzen mit einer ausgeprägten Fähigkeit zur Wasserspeicherung charakteristisch sind. Durch ihre verdickten Stengel, zurückgebildeten Blätter und feste Außenhaut wird zugleich die Verdunstung reduziert. Die Höhenstufe der Sukkulenten-Formation entspricht zugleich der Ackerbau- und Siedlungszone, so dass die natürliche Pflanzengesellschaft teilweise durch den Anbau von Kulturpflanzen wie der Banane verdrängt wurde.

Zu den verbreitetsten endemischen Sukkulenten gehören die kaktusähnliche Kandelaber-Wolfsmilch (Euphorbia canariensis), spanisch Cardón, und die baumartige Tabaiba-Wolfsmilch (Euphorbia broussonetii). Berühmt ist der zu den Liliengewächsen gehörende Drachenbaum (Dracaena draco), dessen bekanntestes Exemplar in Icod de los Vinos steht. Von äußerst dekorativem Wuchs ist auch die Kanarische Dattelpalme (Phoenix canariensis), die vielleicht schönste Palmenart überhaupt. Sie ist mit der nordafrikanischen Dattelpalme eng verwandt, doch sind ihre Früchte nicht genießbar. Auffallend ist die große Zahl unterschiedlicher Rosetten-Arten (u.a. Aeonium canariense). Aus der Neuen Welt eingeführt wurden der Feigenkaktus (Opuntia ficus-indica) mit essbaren Früchten und die Amerikanische Agave (Agave americana). Aus Südafrika stammt der Gelbe Sauerklee (Oxalis pes-caprae), dessen leuchtend-gelber Blütenteppich von Januar bis April viele Bergwiesen bedeckt. In Gärten und Parkanlagen gedeihen zahlreiche weitere Exoten, so der baumartig heranwachsende Weihnachtsstern, die buntfarbigen Bougainvilleas, die orangefarben blühende Feuer-Bignonie (Pyrostegia venusta) und der zur Beschattung von Plätzen geschätzte Indische Lorbeer.

Teneriffa Lorbeerwald

Urwüchsiger Lorbeerwald unterhalb der Cruz del Carmen im Anaga-Gebirge; rechts: Kanarische Glockenblume

Teneriffa Kanarische Glockenblume Canarina canariensis

Auf einer Höhe zwischen 500 und 1500 m herrscht im Norden der Insel Passatnebelwald vor, auch als Monte verde (“Grüner Wald“) bezeichnet. Im feuchtwarmen Tertiär (vor 40 bis 15 Millionen Jahren) war er in ähnlicher Artenzusammensetzung in ganz Südeuropa und Nordafrika verbreitet. Auf den Kanaren ist der Passatnebelwald an die Luftfeuchtigkeit der Passatwolken gebunden, die sich auf dieser Höhenstufe regelmäßig an den Gebirgswänden stauen. Der Passatnebelwald tritt in zwei unterschiedlichen Formationen auf, die nach den jeweils bestandsbildenden Baumarten bezeichnet werden. Für die Laurisilva-Formation, die in Höhen bis 1100 m auftritt, ist der Lorbeerbaum (Laurus azorica, spanisch Laurel) typisch. Im Unterholz des Lorbeerwaldes rankt die bezaubernde Kanarische Glockenblume (Canarina canariensis) mit ihren großen goldroten Blüten (Foto oben). Auch der violettblühende Kanarische Storchschnabel (Geranium canariense) ist hier häufig anzutreffen. In der bis 1500 m Meereshöhe auftretenden Fayal/Brezal-Formation herrschen der bis 20 m hohe Gagel (Myrica faya, spanisch Brezo) und die bis 15 m hohe Baumheide (Erica arborea, spanisch Faya) vor.

Ab einer Höhe von etwa 1000 m schließt sich die Stufe des Kiefernwaldes an, die bis 2000 m Meereshöhe reicht. Bestandsbildend ist die Kanarische Kiefer (Pinus canariensis). Dieser stattliche Baum kann mehrere hundert Jahre alt werden und eine Höhe bis 60 m erreichen. An den extrem langen, zu dritt gebüschelten Nadeln kondensiert die Luftfeuchtigkeit aus und tropft zu Boden. Die Kanarische Kiefer vermag so den Passatwolken auch ohne unmittelbaren Niederschlag Wasser zu entziehen und ist daher von großer Bedeutung für den Wasserhaushalt der Insel. Denn in Kiefernwäldern erhöht sich die dem Boden zugeführte Wassermenge durch Tropfkondensation um das Zwei- bis Dreifache gegenüber den eigentlichen Niederschlagswerten. Innerhalb dieser Höhenstufe kommen außerdem eine Reihe von ginsterartigen Sträuchern vor, unter ihnen der weißblühende Escobón (auch Tagasaste genannt, Chamaecytisus proliferus) und der gelbblühende Codeso (Adenocarpus foliolus). Escobón wird vielfach auch an Feldrainen angepflanzt, da die Zweige als Viehfutter und Stallstreu dienen.

Teneriffa Pinus canariensis
Teneriffa Pico del Teide

Links: gut erkennbar sind die langen Nadeln der Kanarischen Kiefern, die zur Tropfkondensation beitragen. Häufig sind die Zweige mit Bartflechten behangen. Rechts: Blick über die Kiefernwälder des oberen Orotavatals auf den Pico del Teide. Auf der Nordflanke des gewaltigen Vulkans sind Schneefelder erkennbar.

Oberhalb der Baumgrenze schließt sich die trockene, von extremen Temperaturschwankungen gekennzeichnete subalpine Hochgebirgszone an, die auf die Cañadas beschränkt ist. Hier sind Endemiten verbreitet, unter ihnen zwei ginsterartige Sträucher: die bis 3,5 m hohe Retama del Pico (Spartocytisus supranubius), auch als Teide-Ginster bezeichnet, und der niedrigere, kleinblättrige Codeso del Pico (Adenocarpus viscosus). Die weißen bis hellvioletten, intensiv duftenden Blüten der Retama sind im Frühjahr von Bienen umschwärmt; der Codeso blüht goldgelb. Eher selten anzutreffen ist der Taginaste rojo (Echium wildpretii), auch Roter Teide-Natterkopf genannt. Sein auffällig hoher Blütenstand ist mit bis zu 84.000 Blütchen besetzt. Im Winter ist der abgestorbene Blütenstand äußerst dekorativ (siehe Foto unten). Auf den höchsten Schutthängen des Pico del Teide (oberhalb 2700 m) ist nur eine einzige Spezies vertreten, das kleine Teide-Veilchen (Viola cheiranthifolia).

Echium wildpretii

Tipp: Exkursionsberichte des Botanischen Instituts der Universität Graz, basierend auf mehreren Studienreisen nach Teneriffa, zu unterschiedlichen Themen (nicht nur Botanik) - sehr lesenswert!